Laut der wissenschaftlichen Studienlage liegt das Risiko von Menschen über 65 Jahren innerhalb eines Jahres mindestens ein Mal zu stürzen bei etwa 30 Prozent. Senioren gehören aufgrund ihrer verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit damit neben behinderten Menschen zu den Personen, die im Alltag den meisten Einschränkungen unterliegen. Wie Amit Choudhury, Chefarzt der Klinik für Geriatrie und Frührehabilitation am Klinikum Bremen-Nord erklärt, „erhöht sich das Sturzrisiko pro Lebensjahrzehnt um zehn Prozent.“ Viele Senioren oder ihre Verwandten entscheiden sich aus diesem Grund dafür, einen Rollator zu kaufen.
Hilfsmittel-Paradoxon erhöht Sturzrisiko
Überraschenderweise sorgt das sogenannte Hilfsmittel-Paradoxon jedoch dafür, dass diese das Sturzrisiko sogar weiter steigern können. Verantwortlich dafür ist laut dem Arzt die falsche Haltung des Rollators. Häufige Fehler sind das zu weite Vorbeugen, das aufgrund des verlagerten Schwerpunkts einen Sturz verursachen kann oder ein zu großer Abstand zum Rollator. Eine weitere Fehlerquelle sind faltbare Rollatoren, die zwar bei richtiger Anwendung keine Gefahr darstellen, von vielen Senioren aber nicht richtig auseinandergeklappt werden und damit während der Nutzung instabil sind.
Neuer Rollator soll Sicherheit erhöhen
Zur Reduzierung des Sturzrisikos erhalten vielen Rollatornutzer zwar nach der Neuanschaffung eine Einweisung durch einen Physiotherapeuten, die Ratschläge werden im Alltag aber später oft nicht beachtet. Das Forschungsprojekt ModESt, an dem das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie zahlreiche Informatiker, Mediziner, Physiotherapeuten und ein Unternehmen, das Rollator produziert, beteiligt sind, entwickelt deshalb einen Rollator, die die Haltung und den Gang des Nutzers permanent analysiert und automatisch Verbesserungsvorschläge unterbreitet. Serge Autexier, Projektleiter vom Bremer Forschungsbereich Cyber-Physical Systems des DFKI erklärt, dass es beim dem Projekt „um die Sturzprävention geht.“ Der Rollator, der auf dem ersten Blick nahezu nicht von einem gewöhnlichen Modell unterschieden werden kann, wird dazu mit sechs bis acht Distanzsensoren ausgestattet, die en Abstand zwischen Schultern, Becken, Ober- und Unterschenkeln messen. Ein Algorithmus ermittelt aus den so erhobenen Daten, ob gefährliche Abweichungen vorliegen.
Rollator kommuniziert mit Nutzer
Der Wissenschaftler fügt hinzu, dass es im zweiten Schritt eine Methode gefunden werden musste, mit der der Rollator die Daten mit dem Nutzer kommunizieren kann. Dabei ist es essenziell, dass die Informationen über die Fehlhaltung, die das Sturzrisiko erhöht, einfach und intuitiv mitgeteilt werden, ohne dass dadurch der Nutzer abgelenkt oder erschreckt wird. Ein Display, das ständig im Auge gehalten werden muss, scheidet deshalb aus. Auch Brumm- und Summtöne eignen sich aufgrund der Umgebungsgeräusche und der Schwerhörigkeit vieler Rollatornutzer nur bedingt. Welche Lösung schlussendlich das Rennen macht, ist bisher offen.
550.000 neue Rollatoren pro Jahr
Schätzungen von Branchenexperten gehen davon aus, dass in Deutschland etwa 550.000 Rollatoren pro Jahr verkauft werden. Personen, die aufgrund des Hilfsmittel-Paradoxons in Gefahr geraten könnten, gibt es also zu Genüge. Wie Markus Hammer von Topro, einem Partnerunternehmen von ModESt erklärt, hat sich die Branche überdies in den letzten Jahren gewandelt. „Während Rollatoren in der Vergangenheit noch eher ungeliebte, lästige Hilfsmittel waren, sind sie heute vielerorts bereits zum Lifestyle-Produkt geworden.“